Dekoholic

Ohne Not und ohne Grund im Jahre was-weiß-ich geboren,
hatt‘ ich schon früh den kalten Krieg und meine Religion verloren.
Ich schloß die Augen also wieder zu und fiel in einen Traum,
um vor der Welt und all den Leuten erstmal wieder abzhauen:
Ich wurde eingesperrt erschossen, wiedergeboren und kam frei,
schoß in einer Halbzeit sieben Tore gegen Uruguay,
ich ritt auf enem dunklen Pony durch einen Fluß aus Milch,
und als ich wach wurde, lag ich in einem Bett aus Kies.

Keine Wände, keine Decke, keine Fenster und kein Garten,
weder Apfekbäume noch Kakteen, die auf mich warten,
keine Zeit, die totzuschlagen, niemand da, der mich abhält,
bei mir selber anzufangen, und ich brauchte dringend Geld.
Auf einen Güterzug voll Kummer, Tränen, Sorgen und voll Leid,
sprang ich also auf, landete wie auf Moos im Mai,
und schon ging’s mir etwas besser, von hier gab’s jetzt kein Zurück
mehr und gelöst und dezentriert verließ ich good-old Quakenbrück.

Bis hin zur großen Stadt mit Hafen, nach drei Stunden war ich da,
und eine große rote Sonne schien auf Hamburg-Altona
und den Rumänen auf der Brücke, der auf nem Akkordeon spielt:
La Paloma, Satisfaction, Purple Haze und Strawberry Fields.
Den fragte ich nach meinem Weg, den wies er mir runter zum Hafen,
wo paar Junkys, wenn sie Glück haben, niemals aber Schiffe schlafen.
Ich watete durch andere Nieten, trat in Pizza und in Kot,
immer dem Hafenklang entgegen, bis ich stand vor den rostigen Docks.

Ich hatte Durst und großen Hunger, war müde schwer und leicht geschlaucht,
meine Affekte unter Kontrolle, doch sowas wie Flugzeugträger im Bauch.
Ein Extremist an einer Bude gab mir dann mehr als einen aus,
ich war gefährlich bald geneigt und schnappte Intellektuelles auf
von Trainingsjacken gegenüber mit schwarzen Andy-Warhol-Brillen,
und bei ihnen stand mein Glück, in der Hand ne Fischfrikadelle.
Ich sprach es seitlich an und mußte sehen, wie sie mir in die Augen sprach
- brauchte sich nicht mal umzudrehen -: „Was willst denn du von mir, du Arsch?“

Die Brillen dünnten sich dann aus und auch ich wollte schon zahlen,
da band sie mir die Schuhe zu, sagte: „Ich kenn doch deinen Namen.“
Na, sie trug zwar keinen Poncho, doch natürlich ging ich mit,
dreihundertfünfzig-netto-kalt to where she hung her castanets.
Da ging die Sturmflut plötzlich los und alle Deiche brachen ein,
das ganze Meer lief einfach aus und meine Beine knickten ein,
auf mich runter schwallte ich und all my thought-dreams could be seen,
für meinen Kopf am nächsten Tag hatte sie nicht mal Aspirin

Sie zog sich an und sagte leise: „... no se enquentra remedio
en la botica“, und dann lauter:  „Kaffee gibt es bei Tchibo.“
Sie küßte mich auf meinen Hals, „ich muß jetzt wirklich dringend weg.“
Zum Abschied steckte sie mir noch ein buntes Compilation-Tape.
Vom Schlachthof hört ich Kälber schreien und einen Viehwagon anfahren,
Bürgersteighocker und Greisinnen mit Röntgenbildern unter Arm,
ein schlechtgelaunter Rollstuhlfahrer fühlte sich wohl sehr allein,
brüllte mich an, da schlief ich selig an der Haltestelle ein.

Es war schon dunkel, da stand ich vorm Silver-Dackel-Dance-Palace,
auf nem Plakat mein alter Kumpel, hieß jetzt DJ Dr. Lopez,
schlich mich vorbei an einer Jacke, hoch und breit wie ein Fels,
stand zwischen jungen Uniformen und einigen amour-piercing-shells.
Zu kompromißlosen Grooves schrien sie manische Codes
Und auf dem Off-Beat saß fett der alte Tristan-Akkord.
Ich ging zu Dany an die Regler, fragte verlegen nach dem Sinn,
er sagte nur: „Du badest gerade deine Hände darin.“

Er gab mir auch noch was zu schlucken, ich begann auch was zu sehen:
ungegfähr hunderttausend Blumen auf großen Fototapeten
an allen Wänden um mich rum, Hirnrinde und Schädeldecke.
Die Farben waren wirklich geil, doch vom Geruch wurde mir schlecht.
Ich torkelte ziemlich benommen in den Chill-out-Bereich rein,
legte mich in eine Ecke: mein Modus lokrisch b9.
Zu sehr entspannten Beats erhielt ich dann in einem Traum ein echtes Zeichen:
Ich lag auf einer Plastikplane und über mir hingen Autoreifen.

Auf einen Güterzug voll Kummer, Tränen, Sorgen und voll Leid
sprang ich am nächsten Morgen wieder auf, wieder wie auf Moos im Mai.
Ich wollt‘ ja nicht in Spanien sterben, deshalb fuhr ich bloß zurück
und leb‘ noch heute ganz bequem in meinem good-old Quakenbrück.
Ja, wenn die Schienen einmal mir gehören, dann bin ich wohl frei
und mir reicht ein Unentschieden gegen Uruguay,
wenn man nur überall in Frieden stirbt und ohne Hunger lebt ...
Nein, erzählt mir keinen Mist, ich hab gesehen, daß das geht.